Menschenmenge

Wieso arbeiten wir so lange?

Egal ob 38,5 oder 40 Stunden Woche, 8 Stunden am Tag zu arbeiten gilt in unserer Gesellschaft als normal. Über 3 Millionen der ÖsterreicherInnen und mehr als 23 Millionen der Deutschen arbeiten Vollzeit. Die Automatisierung schreitet seit Jahrzehnten voran, die Digitalisierung nimmt zu, wir werden immer produktiver. Doch wieso arbeiten wir noch immer so lange?

Blick in die Vergangenheit

Dazu ein wenig Geschichte. Im 19ten Jahrhundert durfte man sich noch über einen 16 Stunden Tag nicht wundern. 80 Stunden die Woche waren bis 1860 in Deutschland und 1885 in Österreich üblich. Anschließend wurde in Österreich der 11 Stunden Tag eingeführt und die Forderungen nach 8 Stunden Tagen wurden langsam in beiden Ländern lauter.

1918/1919 wurde anschließend sowohl in Österreich als auch in Deutschland der 8 Stunden Tag, mit bis zu 48 Stunden pro Woche, gesetzlich verankert. In den nächsten Jahrzehnten verbesserten sich die Bedingungen immer mehr. In Deutschland begann die Umstellung auf eine 40 Stunden Woche 1955 in der Zigarettenindustrie. Es dauerte allerdings bis 1983 bis alle Branchen auf die 40 Stunden Woche umstellten. In Österreich begann eine Senkung der Arbeitszeit durch ein Volksbegehren von 1970 woraufhin bis 1975 die 40 Stunden Woche eingeführt wurde. 1985 wurde in Österreich dann für viele Branchen die Arbeitszeit auf 38,5 Stunden pro Woche gesenkt.

Während es immer noch einige Branchen gibt für die Ausnahmen gelten, erleben wir also seit über 100 Jahren eine Reduktion der Arbeitsstunden. Wir haben hier also bereits eine massive Verbesserung erlebt. Dennoch stellt sich mir die folgende Frage:

Müssen wir heute noch so viel arbeiten?

Wir sind also bereits bei deutlich weniger Arbeitsstunden angelangt als dies früher der Fall war. Aber ist ein Vollzeitjob mit knapp 40 Stunden die Woche heutzutage überhaupt noch sinnvoll?

Ich bin der Meinung, dass es nur wenige schaffen, wirklich produktiv und konzentriert, über durchschnittlich 8 Stunden am Tag zu arbeiten. Seine Aufmerksamkeit über einen so langen Zeitraum konstant aufrecht zu erhalten, scheint bei vielen nicht möglich zu sein. Was wahrscheinlich auch der Grund dafür ist, weshalb ich so oft KollegInnen sehe, die sich immer wieder zwischendurch lange Pausen gönnen. Wenn man all diese unproduktiven Momente zusammenzählt erreichen viele vermutlich gerade noch eine 30 Stunden Woche.

Ich bin also eher gegen die klassische 40 Stunden Woche und bin davon überzeugt, dass ein 40 Stunden Modell in den meisten Branchen überholt ist, oder sich in den nächsten Jahren überholen wird. Die Frage ist jedoch wie wir damit umgehen.

Kannst du einfach weniger arbeiten? Im Normalfall bedeutet eine Reduktion der Arbeitsstunden auch eine Reduktion des Lohns und genau hier kommen wir zum springenden Punkt. Denn weniger Gehalt können sich viele Menschen nicht leisten. Sei es weil ihr Gehalt zu niedrig oder ihre Ausgaben zu hoch sind. Bei vielen fehlt es einfach an finanzieller Bildung. Sie lassen ihr Geld auf dem Sparbuch oder dem Konto liegen und legen wenig Geld an. Die Hälfte der Österreicher hat am Ende des Monats kein Geld mehr auf dem Konto.

Lies mehr dazu in: Wie ich mit 35 die finanzielle Freiheit erreichen werde

Das bedeutet viele Menschen die mehr verdienen und über der Armutsgrenze liegen tun sich schwer damit mit ihrem Geld auszukommen oder wissen nicht wie sie dieses sinnvoll anlegen sollen. Damit verbauen sie sich selbst den Weg in die finanzielle Freiheit. Dabei würde es für viele Menschen reichen wenn sie sich aktiver damit auseinandersetzen würden wie stark ihr Verhältnis von Einnahmen zu Ausgaben ihre Finanzen beeinflusst.

Natürlich gibt es auch die jene bei denen es nicht ganz so einfach ist. Knapp 1,5 Millionen Menschen in Österreich fallen in die Kategorie der Armutsgefährdeten.

Key Facts zur Armutsgefährdung

Fakt ist, viele Menschen verdienen nicht oder gerade so genug Geld um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Wann dieser Wert erreicht wird ist natürlich stark von der individuellen Person abhängig. Deshalb möchte ich einen Referenzwert heranziehen. In Österreich sind 1,5 Millionen Menschen armutsgefährdet. Das entspricht etwa 17,5% der Bevölkerung.

Als armutsgefährdet gilt wer weniger als 60% des Median Einkommens verdient. Das sind laut Statistik Austria, im Jahr 2018, 1.259 Euro netto pro Monat gewesen. Der Wert steigt mit jeder weiteren erwachsenen Person um 50% und für jedes Kind um 30%. Für einen Single ergibt sich also ein Wert von 15.108 Euro im Jahr. Ein Paar erhält den 1,5 fachen Wert, also 22.662 Euro. Mit einem Kind wird der 1,8 fache Wert veranschlagt, also 27.194 Euro.

In Dein größtes Kapital bist du habe ich die Lebensverdienste anhand einer Studie des IAB errechnet. Darin haben wir uns auch angesehen wie viel 30-jährige im Schnitt verdienen. Um einen besseren Überblick zu erhalten habe ich diese Darstellung noch um ein paar Jahrgänge erweitert.

Alter Ohne BerufsausbildungMit BerufsausbildungMit AbiturFachhochschuleHochschule
2010.33814.80110.833 **
2516.841 22.00922.788 26.013 26.724
3021.000 25.600 31.800 39.200 41.600
4024.40030.40040.00054.50065.800
5028.30032.20039.60058.50066.700
6027.70033.00037.90051.70062.200

Hieran lässt sich relativ schnell erkennen, dass ab einem Alter von 25 im Durchschnitt niemand, der nur sich selbst erhalten muss, mehr armutsgefährdet ist. Wie kann das sein? Das ergibt sich daraus, dass in der Studie des IAB die durchschnittlichen Tagessätze der Studienteilnehmer errechnet wurden und anschließend mal 365 multipliziert wurden.

Daraus lässt sich ganz naiv argumentieren, dass armutsgefährdete Personen vermutlich entweder unterdurchschnittlich bezahlte Jobs ausüben, nur Teilzeit arbeiten, sich um Familienmitglieder kümmern die nicht arbeiten oder selbst nicht arbeiten.

Für all diese Menschen wird es vermutlich schwierig weniger zu arbeiten. Im Gegenteil sie müssten mehr sparen, mehr arbeiten oder in besser bezahlte Jobs wechseln um sich ein finanzielles Polster ansparen zu können. Dass dies für einige aus den unterschiedlichsten Gründen nicht möglich sein mag möchte ich hier gar nicht in Abrede stellen. An der Stelle sollte jedoch auch angemerkt werden, dass viele Menschen ihre Ausgaben deutlich unter der Armutsgrenze halten. Wenn du so günstig lebst und deine Ausgaben so gut im Griff hast, dass du einfach nicht mehr Geld brauchst, ist der Begriff der Armutsgrenze in Bezug auf dein Einkommen relativ egal. Ein gutes Beispiel dafür sind Frugalisten. Einer der vermutlich bekanntesten deutschsprachigen Frugalisten beschreibt hier wie er selbst mit Baby und Urlaub unter 900 Euro im Monat ausgibt.

Was sagt uns das?

Durch hohe Ausgaben oder zu geringes Einkommen sind also weiterhin viele Menschen weit von kürzeren Arbeitszeiten entfernt. Auch wenn der Status Quo bereits eine Verbesserung gegenüber früheren Zeiten darstellt. Für viele Menschen ist Verzicht eben immer noch etwas schlimmes wodurch sie auch ein höheres Einkommen oft leichtsinnig zum Fenster hinauswerfen.

Jetzt wäre es aber etwas zu einfach auf alle einzuschlagen und zu sagen die einen verdienen zu wenig, die anderen geben zu viel aus. Es gibt ja auch Personen bei denen es klappt. Genügend Menschen arbeiten nur noch in Teilzeit und können damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Deutlich weniger Menschen haben es soweit geschafft, dass sie gar nicht mehr arbeiten müssen. Sie sind finanziell frei. Aber wie kommst du an diesen Punkt?

Wie viel ist dir deine Zeit wert?

Für viele Überlegungen zu diesem Thema ist eine gesunde Portion Realismus wichtig. Ganz im Sinne des Blogs solltest du die unterschiedlichen Varianten rational durchdenken. Beginn damit dir zu überlegen wo du überhaupt hin willst. Was sind deine Ziele? Willst du bloß 30 Stunden die Woche arbeiten oder frühzeitig in Rente gehen? Entsprechend musst du anders kalkulieren. Im Fall der geringeren Arbeitszeit musst du nur mit deinem Verhältnis „Einnahmen zu Ausgaben“ im Plus bleiben. Willst du die finanzielle Freiheit bis zu einem gewissen Zeitpunkt erreichen muss deine Sparquote in Kombination mit deinen aktuellen Investments ausreichend hoch sein. In beiden Fällen sollten dir diese beiden Artikel dabei helfen darüber nachzudenken wie du diese Ziele erreichst.

  1. Darüber wie du die finanzielle Freiheit erreichst
  2. Über die Wichtigkeit der Sparquote

Sobald du dich damit auseinandergesetzt hast und ein klares Bild von deinen Einnahmen und Ausgaben hast kannst du eine realistische Kalkulation aufstellen. Es hilft nichts dir einzureden, dass du weniger arbeiten möchtest, wenn du an der Armutsgrenze lebst, dich vielleicht auch noch um zwei Kinder kümmern musst, deine Ausgaben hoch sind und am Ende des Monats kein Geld mehr über ist. In diesem Fall sind andere Schritte wichtiger. Die Erhöhung deiner Einnahmen, aber auch die Senkung deiner Ausgaben. Ausbildungen, Jobwechsel, Minimalismus, Frugalismus, Dumpstern, es gibt viele Ideen und Ansätze um deinen Lebenstandard zu verbessern, deine Ausgaben zu senken und deine Einnahmen zu erhöhen.

Lies auch: Wie Maschinen unsere Jobs übernehmen.

Eine Frage die sich in diesem Kontext zu stellen lohnt ist die Frage nach dem Wert deiner Zeit.

Rechne dir doch einmal deinen Stundenlohn aus und frag dich bei deiner nächsten Ausgabe, egal ob es die Putzfrau oder der Kinobesuch ist, ob dir das deine Zeit wert ist. Wenn du der Putzfrau 20 Euro die Stunde zahlst, selbst allerdings nur 15 Euro verdienst, kommt es dir möglicherweise billiger selbst zu putzen und dafür die benötigten Stunden in deiner Arbeit zu reduzieren. Diese Frage kannst du dir bei fast jeder Ausgabe stellen. Rechne einfach den Preis der Dinge auf Arbeitsstunden um und frage dich ob dir deine Zeit das Wert ist.

Fazit

Es ist durchaus möglich, dass sich die Arbeitszeiten innerhalb der nächsten Jahre ganz von alleine weiter reduzieren. Die bisherigen Anpassungen gingen jedoch eher langsam von statten und so könnte es auch diesmal länger dauern bis ein kürzerer Arbeitstag zum Standard wird. Willst du nicht einfach auf eine Verbesserung warten musst du selbst tätig werden.

Setze dir klare Ziele und überlege dir wie du dieses Ziel rational erreichen kannst. Mein persönliches Ziel ist ja die finanzielle Freiheit mit 35. Die Reduktion meiner Arbeitsstunden ist damit vorerst noch zweitrangig, bleibt allerdings interessant. Falls du dir ein ähnliches Ziel gesetzt hast, rechne dir doch einmal deine aktuelle Sparquote sowie den Zeitpunkt an dem du dein Ziel erreichen wirst aus. Die gleichen Kalkulationen kannst du auch nutzen um dir deutlich zu machen ob du dir eine Reduktion deiner Arbeitsstunden leisten kannst und welchen Einfluss diese auf andere Ziele wie die finanzielle Freiheit hat.

Stehst du noch am Anfang deines Weges kann es unklug sein deine Einnahmen zu reduzieren, da du hier am meisten von deinem Ersparten profitierst. Wenn du jedoch schon sehr weit gekommen bist und dir nur noch 2 Jahre zum erreichen der finanziellen Freiheit fehlen, macht es vermutlich gar keinen so großen Unterschied wenn du deine Arbeit um ein paar Stunden reduzierst.

Sei jedoch ehrlich zu dir selbst. Viele Menschen verdienen gut und geben einfach zu viel aus. Wer sich immer das neueste iPhone kaufen muss, ein teures Auto auf Pump fährt und in einer Wohnung lebt die zu groß und zu teuer ist, dem fällt es natürlich schwerer Geld auf die Seite zu legen. Wenn du dir das Ziel setzt weniger zu arbeiten oder innerhalb weniger Jahre die finanzielle Freiheit zu erreichen musst du dich jedoch entscheiden. Was ist dir wichtiger? Ein entspannteres selbstbestimmtes Leben oder ein Leben in starker Abhängigkeit von deinem Arbeitgeber und deinem Konsum.

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